Zaungast beim Verschwörungsspiel oder besser in eigener Sache?

Zaungast beim Verschwörungsspiel oder besser in eigener Sache?

Kommentar von Judith Wieser – Wien Anders/KPÖ

Zuerst nur nebenbei, denn es ist die Zeit der „Wahlnachbearbeitung“, neuer Perspektiven und Planungen, habe ich von der „Sache Pilz“ gelesen. Hm – Vorwürfe – naja – wundert wenig, war ja schon gelegentlich, nicht aufgebauscht, aber doch, davon zu hören.
Fängt die #MeToo – Bewegung also auch hierzulande an zu wirken…

Dann der konsequente (ich sage nicht ehrenwerte) Rücktritt von Peter Pilz – wow – die Hauptperson einer parlamentarischen Namensliste kommt gar nicht erst ins Parlament.
Das hat gravierende politische Bedeutung – puncto Opposition im Parlament, puncto möglichem Antritt der Liste Pilz in anderen Bundesländern – v.a. Wien – gerade für eine linke Kleinpartei.

Aber das ist nicht der Punkt.
Gibt es eine politische Verschwörung, die das Ganze monatelang aufbewahrt hat, um eine parlamentarische Opposition bewusst nach der Wahl zu schwächen? Sehr gut möglich. Aber uninteressant.
Sollte sich das herausstellen, würde es einer Partei oder deren Führungspersonen ernsthaft schaden – außerhalb der Blase nämlich, die ohnehin schon in dem Bewusstsein der kommenden sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen der künftigen asozialen Regierung, lebt? Nein – nicht nach dem letzten halben Jahr des „Anpatzens“ (man erinnere sich – den Startschuss gab die ‚Kern als Kommunist‘- Kampagne der ÖVP/Liste Kurz und gipfelte in diversen ‚false flag‘ Facebook-Seiten).

Ganz abgesehen aber von der Bedeutung für die österreichische Parlamentspolitik – für mich ist dieser Rücktritt eine logische Konsequenz – prinzipiell – und als Folge der MeToo-Bewegung. Peter Pilz war der erste – aber er wird/sollte (der Wahrscheinlichkeit nach) wohl nicht der letzte österreichische Prominente sein, den „es“ trifft.

Und schon schleichen sich die „bösen“ Worte an…. ‚Patriarchat‘, ‚weiße, alte Männer‘ (ein Begriff der ‚westlichen Welt‘, in der diese schlicht an den Hebeln der Macht sitzen – und zur Erläuterung für die leicht Erregbaren – keine generelle Aussage, dass nur ‚Weiße‘ und nur Männer sexuell übergriffig sind).

derStandard.at hat nun gefühlt alle 15 Minuten einen neuen Artikel zum Thema veröffentlicht – mit Stellungnahmen von jeder nur aufzutreibenden „Seite“.
Tausende Kommentare in den Foren…
Den Sonntag konnte ich in Muße in meiner Facebook-Blase verbringen, die von ‚Die Partei‘ über äußerst politische (und zum Teil tatsächlich politisch aktive) Menschen der „Mitte“, links davon und – wo ich beheimatet bin – ganz links reicht – in jedem Fall aber äußerst gesellschaftsliberal, „modern“, gebildet.

Was konnte ich also dazu lesen? Offenbar sämtliche enttäuschten Liste-Pilz-Wähler, die alles zurechtbiegen und konstruieren wollen, solange Pilz nur weitermacht – „für die Sache“.

Was dabei aber an die Oberfläche geschwemmt wird, muss den liberalen Teil unserer Gesellschaft erschüttern – oder würde es, wenn es nicht ausgerechnet von diesem Teil käme (ja, hier kann man/frau mal nicht auf die guten alten, praktischen, rechten Wutbürger zurückgreifen – dem ist es wohl nur recht oder egal – was auch immer).

In der fanatischen Verteidigung eines, nach medialen Zeugenberichten mutmaßlichen sexuellen Belästigers, werden die betroffenen Frauen nun regelrecht niedergemacht.
Es wird dabei ganz generell gegen Feminismus und vorrangig gegen Feministinnen gewettert.
Unter der Prämisse, es fände eine kollektive Männerjagd statt, werden Unterstellungen à la ‚hat es drauf angelegt‘, ‚will sich nur rächen‘, bis hin zu „Grandiositäten“, wie – Wissenschaft und Lehre seien in Österreich in Gefahr(!!).
Zum einen – woher wissen diese Männer eigentlich schon, dass es ein derartiges Beben geben könnte? Und gibt es nicht ohnehin genug Wissenschaftlerinnen und weibliche Lehrende, die, benachteiligt unter der ‚gläsernen Decke‘ wartend, einsatzbereit sind?
Die geistige Welt wäre hierzulande also ohne ein paar (ja, ein paar- mehr sind es verhältnismäßig wohl nicht) Männer in Führungspositionen dem Untergang geweiht?
Lachhaft – natürlich. Diese inszenierte Hexenjagd wird schnell versiegen. Also kein Grund, sich dem eigentlichen, „lästigen“ Thema zu stellen.

Was aber auf keinen Fall versiegen darf, ist die Aufmerksamkeit für das grundlegende Problem – seit jeher kultivierte, machtmotivierte, sexuelle Übergriffe. Und zwar völlig egal, ob verbale „Schweinereien“, unerwünschtes Begrapschen oder Vergewaltigung. Nein – eine Differenzierung findet hierbei nicht statt. Der Hashtag #MeToo und die Botschaft, die dahinter steht, gilt für alle Betroffenen – Frauen und Männer – und zwar gleichgültig von wem diese Übergriffe erfolgen. (So geht übrigens Solidarität – ich hab den Eindruck, das wissen nicht mehr viele)

Es ist mir hierbei ehrlich gesagt unbegreiflich, warum sich völlig unangesprochene, offenbar „anständige“, „normale“ Männer in der Aufregung lieber mit den chauvinistischen Tätern solidarisieren, anstatt sich zu distanzieren.

Was mir die letzten Tage aber gezeigt haben ist, dass sich die Gesellschaftsordnung, in der Männer beurteilen, welche Angriffe echt, nicht echt sind, provoziert wurden, in unliebsamen Situationen einfach nicht gelten, oder prinzipiell ‚nicht so tragisch‘ sind, in den letzten Jahrzehnten nicht verändert hat und – unterstützt von einer überraschend großen Frauenschar – immer noch festen Bestand hat.
Angeblich liberale Kreise sind davon nicht ausgenommen, sondern im Gegenteil, fixer Bestandteil.

Aber zurück zur Innenpolitik. Die künftigen Regierungsparteien haben Frauenpolitik des 21sten Jahrhunderts (oder des späteren 20sten) nicht auf der Agenda – für so manche weiblichen Vertreterinnen dieser Parteien wäre das sogar geradezu schändlich.
Die zu erwartende Einsparungspolitik wird nichts dafür tun, die so wichtigen, vernachlässigten, „klassischen Frauenberufe“ gerechter zu entlohnen. Schwangerschaftsabbrüche sind, trotz der von Frauen hart erkämpften Fristenlösung, immer noch Teil des Strafgesetzbuches und werden im harmlosesten Fall einfach im jetzigen Zustand dort bleiben.
Frauenquoten sind nach neoliberaler Ansicht (hier stimmen ja auch die Neos zu) völlig unnötig, denn es gibt ja erfolgreiche Frauen. Punkt. Quoten sind demütigend. Punkt. Welche Frauen, mit welchem familiären, finanziellen Hintergrund in den meisten Fällen Erfolg haben, darüber wird nicht gesprochen (bitte dazu eventuell Invanka Trumps „Tipps“ für berufstätige Frauen nachzulesen).

Und im nächsten Jahr findet das Frauenvolksbegehren statt.
Unter einer konservativen Regierung, in einem Land, das gefühlt zu 80% aus konservativen „Vintage“- Bürgern besteht (die einen wollen zurück in die 30er, die anderen wenigstens „zwischenmenschlich entspannt“ in die 50er – egal, sie sind sich letztlich in irgendeiner unwirklichen, realitätsfernen Weise einig im Retrotrend).

Und gerade jetzt wird versucht, eine Anti-Sexismusbewegung, die wir weltweit ebenso nötig haben wie eine Klimabewegung und eine komplette Änderung der betriebenen, ausbeuterischen, neokolonialistischen Wirtschaftspolitik, im Keim zu ersticken, indem das komplette Thema verschwörungstheoretisch auf eine einzelne Person heruntergebrochen, oder, im besten Fall noch, auf eine rein parteipolitische, und ebenso verschwörungshungrige Ebene versetzt wird.

Ich will dieses bequeme, parteipolitische Ablenkungsmanöver, das hier gerade stattfindet aber nicht mitmachen – Feminismus ist ja so ein unkomfortables, mühsames Thema. Wie gut, dass wir hier keinen überdimensionalen Filmproduzenten haben – wie praktisch, dass wir das gesamte Thema einfach der intriganten Politik zuschieben können, weil der erste „Betroffene“ -zufällig oder nicht- aus der Politik kommt…

Politik wird übrigens für alle gemacht – immer. Egal, ob eine Gruppe im Detail bevorzugt oder benachteiligt werden soll – Regelungen und Gesetze gelten – allgemein.
Warum wird dann gerade bei Frauenpolitik immer auf den individuellen Fall heruntergerechnet?
Längst hat sich durchgesetzt, dass für jeden Verbrecher, „perversen Serienmörder“ dieselben Rechte gelten, wie für jeden anderen Menschen (natürlich mithilfe der Dauerbeschallung mit entsprechend propagandistischen Fernsehserien).
Sobald es aber um Frauenrechte, und hierbei ganz speziell um sexuelle Übergriffe geht, wird gegengerechnet mit – ‚aber Frauen machen das auch‘, ‚wegen sowas darf doch eine Karriere nicht zerstört werden‘ (Nein, darf nicht? Nur wegen dieses einen Strafgesetzes? Und echt jetzt? Frauen sind nicht prinzipiell chromosomal gesteuert, gut?). Dann macht mal Gesetze – egal welche – die jeden individuellen Fall per se berücksichtigen und im Vorfeld werten.

Aber weiter: Das Familienrecht ist nicht fair!! #whataboutism – hier geht es nicht um das schwerst überarbeitungswürdige Familienrecht (z.B. #VäterohneRechte – Feminismus ist nämlich keine Einbahnstraße – auch hierauf wird nicht vergessen).
Und ebenso Ungerechtigkeiten durch Falschbeschuldigungen gab und gibt es – aber auch darum geht es nicht – das ist Sache der Rechtsprechung, die ihr Bestes für die Allgemeinheit versucht und die im Übrigen von Männern ersonnen wurde und größtenteils von ihnen weiterentwickelt wird.

Ich wünsche mir zum angeschnittenen (mehr ist es leider noch nicht), internationalen Thema des systemastisierten, in allen Kulturen verwurzelten sexuellen Übergriffs von Personen (meist nun mal Männer gegenüber Frauen) keine „österreichische Lösung“, heißt Verdrängung innerhalb unzähliger, mehr oder weniger aufregender Kleinigkeiten.
Bleiben wir beim eigentlichen Thema.

Aber wenn wir schon so gerne von Verschwörungen sprechen – wem nützt es denn, dieses Thema auf nur eine Person oder auf Parteipolitik zu reduzieren?
Dem weiteren Bestand der heutigen (gestrigen) gesellschaftlichen Verhältnisse – der Verweigerung, geschlechtliche Ebenbürtigkeit endlich zu ihrem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Recht kommen zu lassen – dem Machtgefüge also, mit dem sich so gut gefügig machen lässt.

Wer will, kann natürlich immer noch auf die „spannendere“ Verschwörung zurückgreifen – die ÖVFPÖ war’s!! Wegen eines 4,4% -Pilz, der jetzt natürlich noch unbequemer hätte werden können, als er bisher war, mit dem gefestigten, strukturierten Parteiapparat hinter sich – oder so ähnlich, irgendwie halt… Sagt ja keiner, dass nicht was dran sein kann.

Ist das dann aber nicht doch ein paar Nummern zu klein und geht geradewegs am eigentlichen Thema vorbei?