Warum wird an der Pflege seit Jahren gespart?

Christina Kern, fragt in einem offenen Brief, ob nicht auch im Pflegebereich die Belastungsgrenze für die dort bei schlechter Bezahlung arbeitenden Menschen längst überschritten ist.

Die Autorin, Christina Kern, fragt in einem offenen Brief, der u.a. an Gesundheitsstadträtin Wehsely, die KAV-Direktion, ÖGB-Präsident Foglar, Gesundheitsministerin Oberhauser und an VertreterInnen von Parteien erging, ob nicht auch im Pflegebereich die Belastungsgrenze für die dort bei schlechter Bezahlung arbeitenden Menschen schon längst überschritten ist.

Sehr geehrte Frau Dr. Pilz, sehr geehrter Herr Dr. Szekeres,

Ihre derzeit über die Medien gespielten Argumente finde ich als betroffene Pflegeperson entwürdigend. Die ÄrztInnen stellen sich aus gutem Grund gegen die Einsparungen im Gesundheitsbereich und man muss Dr.  Szekeres Recht geben, wenn er die Vermutung äußert, dass in Wien seit Jahren im Gesundheitssystem gespart wird. Dass eine grüne Politikerin, die die wahren Gegebenheiten im AKH und in sämtlichen Krankenhäusern der Stadt Wien immer nur aus zweiter Hand kennt, dies bezweifelt, zeigt nur, wie weit entfernt PolitikerInnen von den realen Arbeitswelten der WählerInnen sind. Die Pflegekräfte spielen in dem ganzen Szenario bisweilen keine Rolle, obwohl sie zur größten Berufsgruppe im Gesundheitswesen überhaupt zählen.

Warum solidarisieren sich die ÄrztInnen nicht mit den noch viel schlechter bezahlten Pflegekräften, die um einen Hungerlohn all jene Arbeiten übernehmen sollen, die die TurnusärztInnen nicht mehr machen wollen? Und welche Aufgaben soll die Pflege dafür abgeben dürfen? Hat es sich nicht seit 1997 eingebürgert, dass die hoch qualifizierten Tätigkeiten gar nicht von Pflegekräften ausgeübt wurden, weil diese überwiegend mit Essen austeilen, Grundpflege und nicht selten gar mit Putztätigkeiten belangt wurden? Wo standen da Gewerkschaft und PersonalvertreterInnen, um die Arbeit der Pflege endlich einmal neu zu bewerten und auch entsprechend zu bezahlen? Welche Stationsschwester verfügte über genug Intelligenz, um sich den alteingesessenen Oberschwestern gegenüber durchzusetzen, die Ihren Job meist nur wegen der richtigen parteipolitischen Vernetzung innehatten? Und welche Gewerkschaft und Personalvertretung hat sich in den letzten Jahren dafür eingesetzt, dass es in der Pflege anständige Arbeitszeiten gibt, die Familie und Beruf vereinbaren lassen, auch und vor allem für Alleinerziehende?

Natürlich kann man an den Ambulanzen sparen, wenn man endlich in ausreichend Gesundheitszentren investiert, mit Abend- und Wochenendöffnungszeiten, aber das muss auch entlohnt werden, vor allem für die Pflegekräfte. Da spielt sich mit 60% schon gar nichts ab, sondern da muss man endlich mit 100-200% Zuschlag außerhalb der üblichen Kernarbeitszeit rechnen. Der BAGS-KV gehört, wie man weiß, zu den am schlechtesten verhandelten Kollektivverträgen überhaupt, aber das interessiert die Gewerkschafts- und PersonalvertreterInnen nicht, denn diese haben häufig noch sehr alte Verträge. Und was ist mit den Jungen und gut ausgebildeten, die für harte Arbeit immer weniger bekommen und deren Pensionen vom mageren Gehalt als Krankenschwester nicht gesichert sind? Warum wird an der Pflege seit Jahren gespart und warum schlafen die Gewerkschaften so unendlich?

Wien ist überhaupt das schlechteste Beispiel, denn hier bedient man sich in der Pflege (und vielen anderen Berufen) an billigen und willigen osteuropäischen Arbeitskräften. Wo bleiben die gut ausgebildeten, hoch qualifizierten österreichischen Pflegekräfte? Sind die schon alle abgewandert?

Der Aufbau einer ambulanten Versorgung steckt in Österreich noch in den Kinderschuhen, wie man an der Strukturierung der Hauskrankenpflege in Wien sieht, wo diplomierte Pflegekräfte seit Jahren nur für Grundpflege eingesetzt werden, weil der FSW das Monopol für die MedHKP (Medizinische Hauskrankenpflege) hat. Hat man da schon mal nachgedacht, wie der Ausbau der extramuralen Pflege aussehen soll und in welcher Funktion nicht-ärztliches Personal fungieren kann, selbstverständlich mit Ressourcen, Kompetenzen und finanzieller Unterstützung ausgestattet?

Herr Dr. Szekeres, ich danke Ihnen für das Aussprechen Ihrer Vermutung, aber ich ersuche Sie, die Solidarisierung mit der Pflege zu suchen und damit die Gesundheitsversorgung der Zukunft auf neue Beine zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen

Christina Kern